Ein ganzer Tag in Brandenburg
Derwitz – Brandenburg an der Havel – Charlottenhof in Sanssouci
Eigentlich war es ein Fehler in der Kommunikation, der mich zu einem Ausflug in die Stadt Brandenburg an der Havel führte. In einem Gespräch mit dem Kiezkenner und Hobbyhistoriker Wolfgang Holtz fragte ich nach interessanten Themen, die wir für dieses Magazin aufbereiten könnten. Herr Holtz erzählte, dass er sich in Brandenburg gut auskennt, und wir verabredeten uns an einem frühen Sonntagmorgen im Juli. Dass ich die Stadt Brandenburg an der Havel meinte und er die Mark Brandenburg im allgemeinen, merkten wir dann erst im Auto. Aber als echter Kenner machte ihm das natürlich nichts aus.
Nach dem schönen Motto „Der Weg ist das Ziel“ mieden wir die Autobahn und fuhren auf der B1 über die Glienicker Brücke, durch Potsdam, vorbei an Werder und machten den ersten Stopp im unscheinbaren Dörfchen Derwitz im Havelland, das eine ganz besondere Verbindung zu Lichterfelde hat. Vom nahe gelegenen Spitzen Berg unternahm Otto Lilienthal 1891 seine ersten Flugversuche. Ein eindrucksvolles Denkmal in der Nähe der ursprünglichen Abflugstelle markiert heute den ersten Gleitflug der Menschheit, der 25 Meter weit über die Wiesen des Havellandes verlief. Das Lilienthal-Denkmal des Stansdorfer Bildhauers Wilfried Statt wurde am 21. September 1991 per Hubschrauber an seinen Platz gebracht.
Kleiner Umweg zum Kloster Lehnin
Wer einen kleinen Umweg vorbei an Wäldern und Seen nicht scheut, kann von hier aus auch das Kloster Lehnin besuchen und sich schon einmal auf die Historie einstimmen, die in Brandenburg an der Havel 1157 ihren Anfang nahm und die eng mit dem Kloster verbunden ist. Lehnin wurde als erstes Kloster in der Mark Brandenburg im Jahre 1180 vom Markgrafen Otto I. aus dem Geschlecht der Askanier gegründet. Mit der Stiftung führte Otto I. die Strategie seines Vaters, Albrechts des Bären, weiter, der christliche Siedler u. a. aus Flandern ins Land rief, um einerseits das sumpfige Gebiet nutzbar zu machen und andererseits ein Gegengewicht zu den hier lebenden heidnischen Slawen zu schaffen. Die tatkräftigen Zisterziensermönche stabilisierten das Land durch ihre wirtschaftlichen und missionarischen Aktivitäten. Das Kloster wurde in verschiedenen Baustufen und nach langen Jahren der Verwüstung infolge des 30-jährigen Krieges erst Mitte des 19. Jahrhunderts wieder nach alten Plänen aufgebaut. Hiermit wurden u. a. Ludwig Persius und Friedrich August Stüler beauftragt. Die Klosteranlage ist heute ein beeindruckendes Zeugnis Märkischer Backsteinbauten.
Etwa eine halbe Stunde nordwestlich des Klosters Lehnin sieht man schon von weitem die drei imposanten Kirchtürme der Stadt Brandenburg an der Havel: die Katharinen-Kirche in der Neustadt, die St.-Gotthardt-Kirche in der Altstadt und den des Doms St. Peter und Paul auf der Dominsel. Mit ihrer über 1000-jährigen Geschichte wird die Stadt als die Wiege der Mark Brandenburg bezeichnet. In einer wechselvollen Geschichte von Eroberung und Verlust der Herrschaft über die Burg Brandenburg zwischen slawischen Hevellern und den Askaniern erbte Albrecht der Bär schließlich die Brandenburg und gründete 1157 die Mark Brandenburg.
Die drei Kirchenbauten in Brandenburg an der Havel
Die Katharinenkirche in der Neustadt (1217) ist die größte Kirche der Stadt Brandenburg. Der Ursprung als Feldsteinkirche ist noch am Westbau ablesbar. Das Äußere der Kirche ist mit aufwändigem Steindekor, durchbrochenen Rosetten und figürlichem Schmuck reich verziert. Bemerkenswert ist der große Flügelaltar von 1474.
Die Pfarrkirche St. Gotthardt in der Altstadt (1140) wurde vom Slawenfürsten Pribislaw-Heinrich für den Mönchsorden der Prämonstratenser in der Siedlung Parduin, der späteren Altstadt, als Feldsteinkirche errichtet. Im 15. Jahrhundert wurde sie bis auf den unteren Teil des Westgiebels abgerissen und durch die jetzige spätgotische Hallenkirche ersetzt. Die riesigen Feldsteinblöcke sind noch heute am Eingang zu bestaunen.
Der Dom Sankt Peter und Paul zu Brandenburg (1170) liegt auf einer Insel zwischen Beetzsee und Havel und wird als „Mutter aller märkischen Kirchen“ bezeichnet. Mit dem Bistum Brandenburg wurde die Christianisierung der slawischen Stämme östlich der Elbe begonnen. Im Zuge der Reformation ging das römisch-katholische Bistum Brandenburg 1539 an die protestantische Kirche über.
Neben den historischen Backsteinbauten liegt der Reiz der Stadt in den vielen Havelarmen, dem Stadtkanal, etlichen Seen, Brücken und Uferpromenaden, die die Altstadt, Neustadt (beide wurden im 12. Jahrhundert gegründet!) sowie die Dominsel umgeben.
Ein berühmter Sohn der Stadt war übrigens Vicco von Bülow (Loriot), zu dessen Ehren etliche Bronze-Möpse an vielen Orten der Stadt aufgestellt sind.
Rückfahrt vorbei am Kaiserbahnhof in Potsdam und Schloss Charlottenhof
Auf der Rückfahrt rundeten schließlich zwei für mich bisher unbekannte historische Leckerbissen diesen Tag in Brandenburg ab: Der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende alte Kaiserbahnhof am Park von Sanssouci und ganz in der Nähe das kleine Schloss Charlottenhof mit seinem liebevoll angelegten Blumengarten.
Mit dem Bahnhof Wildpark wurden bereits im Jahr 1868 Park und Schlösser an das Bahnnetz angeschlossen. Kaiser Wilhelm II. liebte das Reisen mit dem Zug und wies die Eisenbahndirektion an, westlich des Bahnhofgeländes einen repräsentativen Kaiserbahnhof im englischen Cottagestil zu erbauen. 1909 wurde das imposante Gebäude, das im Innern über eine Treppe mit dem Bahnsteig verbunden ist, fertig gestellt. Leider kann man die Anlage nur vom Zaun aus betrachten, da es zur Deutschen Bahn AG gehört und ausschließlich als Akademie für DB-Führungskräfte genutzt wird.
Schloss Charlottenhof erreicht man ganz in der Nähe über einen rückwärtigen Eingang zum Schlosspark an der Geschwister-Scholl-Straße. Für viele übt diese harmonische Anlage im klassizistischen Stil einen größeren Reiz aus, als die große, touristisch überlaufene Schwester Schloss Sanssouci. Im Zusammenwirken von Architekt Karl Friedrich Schinkel und dem Gartengestalter Peter Joseph Lenné entstand hier ein bezauberndes Ensemble aus Architektur und Landschaft.
Zugegeben sind diese vier Stationen ziemlich viel für einen Tag. Aber vielleicht nehmen Sie es einfach als Anregung und besuchen die Orte mit Zeit und Ruhe an zwei Terminen.
Text und Bilder Jutta Goedicke