Artikel aus 01 | 2020
Industriellenvilla im Rosenthal’schen Villenterrain
Vielen ist das große Herrenhaus in der Calandrellistraße unter dem Namen „Siemens-Villa“ bekannt. Werner Ferdinand von Siemens, ein Enkel des Firmengründers Werner von Siemens, erwarb es 1928 von den Erben des einstigen Bauherrn, dem Industriellen Friedrich Christian Correns. (1863-1923). Correns war kaufmännischer Direktor der international agierenden Accumulatorenfabrik AG Berlin. 1905 zog Correns in die Beethovenstraße 38-42. Von dort aus kaufte er fünf umliegende Grundstücke mit einer Größe von insgesamt 37.312 qm auf und ließ sich vom Architekten Albert Denzel einen Entwurf für ein repräsentatives Wohnhaus mit Gärtner-, Chauffeur- und Pförtnerhaus anfertigen.
Nebengebäude zuerst erbaut
Von 1913 bis 1916 wurden die umfangreichen Bauarbeiten durchgeführt, wobei man zunächst mit der Errichtung der Nebengebäude begann und diese 1914 fertigstelle. Über die Pläne zum Haupthaus gab es offensichtlich Unstimmigkeiten mit Denzel, sodass Correns schließlich den Gemeindebaurat und Architekten Fritz Freymüller mit einem neuen Entwurf beauftragte. Kurios ist, dass Freymüller als Baurat damit seine eigenen Zeichnungen als geprüft und baupolizeilich korrekt abzeichnen konnte.
Die Front des Hauses wird von sechs dorischen Säulen dominiert, die das Dach der Auffahrt tragen. Viel leichter dagegen wirkt die Rückseite des Hauses, bei der sich ein Säulengang über die gesamte Breite des Erdgeschosses hinzieht und in die seitlichen Pavillons übergeht. Von hier aus führen breite Freitreppen in den Garten. Im östlichen Bereich des Erdgeschosses gab es ursprünglich einen Wintergarten mit Übergang zu einigen Gewächshäusern.
Sichtachsen zum Teich und Teehaus
Die Villa verfügte über 73 Zimmer auf vier Geschossen. 30 Räume für die private Nutzung der Familie, 4 Fremdenzimmer, 18 Räume für das Personal, 10 Bäder und zahlreiche Abstell- und Vorratsräume. Weibliche Dienstboten hatten ihre Zimmer im Dach, männliche im Kellergeschoss. Dort befand sich auch ein Billardraum, eine Trinkstube sowie eine Kegelbahn. Fast jeder Raum hatte eine Waschmöglichkeit und einen Telefonanschluss. Die Treppenanlage ins Obergeschoss umführt einen Springbrunnen mit einem Becken aus goldenen Mosaiksteinen. Der halbrunde Mittelbau mit Sichtachsen zum Teich und zum Teehaus war in allen Geschossen als Wohnraum angelegt: unten als Salon für Gäste, darüber für die Familie und im Dachgeschoss als Teil der Fremdenzimmer. Insgesamt hatte das Anwesen eine Wohn- und Nutzfläche von 1700 qm.
Mit der Gestaltung der Gartenanlage wurde bereits Ende 1913 begonnen. Es entstand eine abgesengte Rasenfläche (sog. Boulingrin), ein Rosengarten und ein Nutz- und Obstgarten. Ein Teich mit Springfontäne, Pump- und Bootshaus sowie ein Wegenetz war im hinteren Teil bereits vorhanden und wurde als landschaftlicher Parkbereich übernommen. Ein Teehaus wurde später ebenfalls von Fritz Freymüller entworfen und gebaut.
Erwerb durch Werner Friedrich von Siemens
Mit dem Erwerb des Hauses, 1928, durch den Musikliebhaber Werner Friedrich von Siemens wurden die Gewächshäuser für einen 500 Personen fassenden Musiksaal abgerissen. Die Walcker- Orgel, die im Gesellschaftszimmer stand, wurde um eine Wurlitzer-Orgel im Neubau ergänzt. Nach dem Tode von W. F. von Siemens wurde das Anwesen 1940/41 an das Deutsche Reich verkauft und für die nächsten 35 Jahre vom Ibero-Amerikanischen Institut genutzt. Anfang der 1950er Jahre wurden fast 10.000 qm des Grundstückes abgetrennt, womit der Teich und wertvolle Gehölze verloren gingen. Das Gebiet wurde aufgeschüttet und mit dem Kinderheim Heiteretei bebaut. 1978 zog das Deutsche Musikarchiv ins Herrenhaus, musste aber aus Platzgründen 2010 umziehen. Inzwischen wird die Villa von der Business School Berlin und der Medical School Berlin, zwei privaten, staatlich anerkannten Hochschulen, genutzt.
Obwohl die Villa mit 13 Jahren nur relativ kurz im Besitz der Familie Siemens war, hat sich der Name „Siemens Villa“ in der Öffentlichkeit eingeprägt. Wir wollen hiermit aber an das Erbe von Friedrich Christian Correns erinnern, der gemäß dem Zeittrend einer damaligen wohlhabenden Bauherrenschicht ein repräsentatives Anwesen schuf, das uns heute einen tiefen Einblick in den Lebensstil der Oberschicht am Ende der Kaiserzeit gibt.
Text und aktuelle Fotos: Jutta Goedicke
Quelle: Anne und Wolfgang Friese, Kristin Lanzke (Magisterarbeit: Herrenhaus Correns)
Ein besonderer Dank an das Archiv Galerie Nierendorf für die historischen Innenaufnahmen der Villa.